Er sagt, er habe kein Talent und verdient mit seiner Kunst Millionen. Er bezeichnet Künstler als »Leute, die etwas tun, für das sich andere schämen würden«. Bei ihm steht die Welt einfach Kopf: Georg Baselitz, Maler, Bildhauer und Provokateur, wird am 23. Januar 75 Jahre alt.
International bekannt wurde Baselitz mit großformatigen, farbkräftigen Gemälden, bei denen er die Motive auf den Kopf stellte: Da wachsen Bäume aus dem Himmel, Vögel stürzen zum Boden, und Menschen schweben kopfunter auf der Bildfläche. »Ich habe das Bild, das bis dahin galt, nicht akzeptiert und stattdessen mein eigenes aufgehängt«, erklärt Baselitz. Er wolle alte Werte und Traditionen zerstören, »damit im Kopf wieder etwas stattfindet, um den müden Augen neue Wege zu zeigen«.
»Ich bin in eine zerstörte Ordnung hineingeboren«, sagt der Künstler, der 1938 als Hans-Georg Kern in Deutschbaselitz in Sachsen zur Welt kommt. Nach zwei Semestern an der Ostberliner Kunsthochschule wird er 1956 wegen »gesellschaftspolitischer Unreife« von der Hochschule verwiesen – eine Standardbegründung für unliebsame Studenten in der DDR.
Also zieht er nach Westberlin und studiert bei Professor Hann Trier, studiert Texte von Kurt Schwitters und Francis Picabia, reist nach Amsterdam und Paris und beschäftigt sich mit der Kunst von psychisch Kranken. Bei seiner ersten Einzelausstellung 1963 in der Galerie Werner & Katz in Berlin werden zwei Gemälde, die nackte Männer zeigen, wegen »Unsittlichkeit« von der Staatsanwaltschaft beschlagnahmt. Baselitz landet auf der Titelseite der Bild-Zeitung. Erst nach zwei Jahren bekommt er die Bilder nach etlichen Gerichtsverhandlungen zurück.
Die Erfahrungen mit Medien und Justiz weiß er für sich zu nutzen. Als Angriff auf die Konventionen der Wahrnehmung und der Kunst entsteht 1969 das Bild »Wald auf den Kopf gestellt«. Plötzlich steht nicht mehr die dargestellte Figur im Vordergrund, sondern die Auseinandersetzung mit Raum und Komposition. »Die Hierarchie, in der der Himmel oben und die Erde unten ist, ist ohnehin nur eine Verabredung«, meint Baselitz.
Die »verkehrte Welt« wird zum Markenzeichen, und Baselitz avanciert zu einem der bekanntesten Künstler Deutschlands. Der rohe, aggressive Pinselstrich und die intensiven Farben bleiben bis spät in die 80er-Jahre kennzeichnend für seine Gemälde. Für die Biennale in Venedig realisiert er erstmals eine Skulptur. Der erhobene Arm der Holzfigur wird als »Hitlergruß« interpretiert und provoziert heftige Diskussionen – ebenso wie das Gemälde »Tanz ums Kreuz«, das der Künstler 1992 der Kirchengemeinde von Luttrum bei Hildesheim schenkt. In dem kleinen 330-Einwohner-Dorf ist der Protest so stark, dass Baselitz das Gemälde wieder entfernt und in sein damaliges Domizil im nahe gelegenen Schloss Derneburg bringt.
Disharmonie, Brüche und Gegensätze sind die Leitmotive in den Arbeiten von Baselitz. »Wo sind Bilder zweifelhaft? Wo sind sie angreifbar? Wo sind sie zerstörbar? Wo kann man neu anfangen?«, fragt er, bevor er an die Arbeit geht. Statt mit dem Pinsel malt er mit Fingern, oder er steigt mit Schuhen in eine Farbwanne und stapft über das Bild.
In den 90er-Jahren beschäftigt er sich mit der eigenen Vergangenheit. Es entstehen Familienporträts oder Gemälde, in denen es um Kindheit oder Heimat geht. Die Bilder enthalten Volkskunstmotive, werden leichter, der Pinselstrich zeichnerisch, die kräftigen Farben trägt er lasierend und luftig auf.
Seine Werke erzielen bei Versteigerungen Millionenbeträge. Doch ist aus dem Rebellen ein eher gemäßigter Künstler geworden. Die jüngsten Bilder des Fotografen Benjamin Katz, der den Künstler seit 1978 mit der Kamera begleitet, zeigen Baselitz als freundlichen älteren Herrn, der gerne im Ammersee badet oder durch den Wald spaziert. An dem See bei München hat er in einem großzügigen Anwesen seine neue Heimat gefunden.
»Ein Kinderwunsch war es, sich an das andere Ende der Welt wegzuträumen«, schreibt Baselitz in einem Essay, der in einem Sammelband des Hirmer-Verlags erschienen ist und einen hervorragenden Einblick gibt in die Seelenwelt des Künstlers. Früher habe er in der Sandkuhle gebohrt, um auf der anderen Seite wieder herauszukommen. Später bohrte und grub er mit seinen Zeichnungen und Bildern nach Neuland.
»Dass Bilder die Freiheit sind, kam mir damals nicht in den Sinn«, schreibt er und fügt provozierend hinzu: »Bisher habe ich noch kein Klopapier sauber gemacht.«
BUCHTIPPS: Detlev Gretenkort (Hg.): Georg Baselitz. Gesammelte Schriften und Interviews. Hirmer-Verlag 2012. 9,90 Euro. Benjamin Katz: Georg Baselitz at work. Hirmer-Verlag 2012, 34,90 Euro.
Veröffentlicht beim Evangelischen Pressedienst (epd), Januar 2012